Was ist eigentlich Reisefieber?
Das Wörterbuch bezeichnet Reisefieber als „umgangssprachlich: Aufgeregtheit, Aufgewühltheit, Erregung aus Anlass einer bevorstehenden Reise“. Diese Beschreibung ließ mich erst einmal etwas verwirrt zurück, denn an diese Bedeutung hatte ich überhaupt nicht gedacht.
Für mich ist Reisefieber die Unruhe zuhause, das Fernweh, was mich von fremden Welten träumen und in Bewegung setzen lässt. Mit den Worten von Michael Palin, Monthy-Pythons-Schauspieler und ehemaliger Präsident der Royal Geographic Society:
„Wenn dich einmal das Reisefieber packt, gibt es kein bekanntes Heilmittel, und ich bin gerne bis zum Ende meines Lebens daran erkrankt.” Dem kann ich nur zustimmen.
Zeichen ersten Reisefiebers
1984 – OMG, es ist einfach unvorstellbar lange her 😉
Jena, meine Heimatstadt in der DDR. Ich bin 18 Jahre alt, sitze auf dem Teppich im Wohnzimmer und habe einen Stapel von vielleicht 40 Ansichtskarten aus der ganzen Welt vor mir. Ja, damals gab es noch nicht einmal Computer, geschweige denn Smartphones und Bilder anderer Orte waren vor allem auf den beliebten Ansichtskarten aus dem Urlaub oder eben aus der fernen Heimat zu sehen.
Die Empfängerin fast aller Karten ist meine Mutter, Germanistin an der Uni und Dozentin für Deutsche Sprache im internationalen Hochschulferienkurs jedes Jahr im Sommer. Dort begegnete sie regelmäßig Deutschlehrern oder auch nur an Deutschland bzw. der DDR Interessierten. Dies war ihr Kontakt zur Welt da draußen. Zahlreiche Freundschaften entstanden dort, wie die Ansichtskarten aus der ganzen Welt bewiesen – Paris, Rom, Tokio, New York …
Eine Karte ist mir besonders wichtig. Diese war aus der unvorstellbaren Ferne, aus Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens an mich gerichtet. Geschrieben von einer Schulkameradin, die bei ihrer Großmutter aufwuchs, weil deren Eltern für mehrere Jahre in Jakarta den VEB Carl Zeiss Jena vertraten und die sie in den Sommerferien besuchen durfte. Wie ich sie beneidete!
Die Karten breitete ich regelmäßig alle vor mir auf dem Teppich aus und träumte mich in Gedanken zu all den für DDR-Bürger nahezu unerreichbaren Zielen. Das in mir wohnende Fernweh konnte durch Reisen in die Länder des ehemaligen Warschauer Pakts (Polen, die damalige CSSR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien) nicht gedeckt werden.
Lesen – meine ideelle Reise in die Ferne
Konnte ich schon nicht wirklich reisen, so tat ich es in Gedanken – angestachelt durch die Ansichtskarten und Bücher. Bücher waren, seitdem ich mit 7 Jahren lesen konnte, meine Leidenschaft und meine andere Welt, in die ich flüchten konnte. Als Kind war ich tatsächlich traurig, weil ich keine echte Indianerin sein und wie diese in der Weite der Prärie leben konnte.
In den 80ern lass ich besonders gerne US-amerikanische Autoren. Von Jack London war ich begeistert, ich liebte Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald und war fasziniert von James Baldwin. Meine Liebe zur Literatur ließ mich Germanistik und Anglistik/Amerikanistik studieren, wo ich mich noch intensiver mit Literatur beschäftigen konnte (und musste). Ich beneidete insgeheim die Schriftsteller, die während der Nazizeit in Übersee im Exil waren – nicht verstehend, welch schweres Schicksal dies für viele bedeutete
Frühe Reiseerfahrungen
Bis zum Fall der Mauer im November 1989 – ich war gerade 23 geworden – hatte ich mit meinen Eltern und unserem Wartburg die DDR und Polen bereist, war als Reiseleiterin im jetzigen Tschechien unterwegs und mehrere Male mit Freunden in Ungarn gewesen, mit einer Gruppe befreundeter Musikanten durch Siebenbürgen in Rumänien gewandert, hatte im Rahmen des Studentenaustauschs Bulgarien etwas kennengelernt und sogar eine Sprachreise in die Nähe von Moskau gemacht. Damit hatte ich so viel von der Welt gesehen, wie die DDR es ihren Bürgern erlaubte.
Aufholjagd
Die limitierten Reisemöglichkeiten hatten in mir und meinen Freunden eine ungeheure Neugier auf die Welt außerhalb unserer bisherigen Reichweite entfacht. Ab 1990 – ich hatte gerade meinen jetzigen Mann kennengelernt – wurde in wenigen Jahren der Westteil Berlins und Deutschlands, halb Europa mit Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland, Österreich, Schweiz, Zypern und der Türkei besucht, die ersehnten Vereinigten Staaten und sogar Südafrika frisch nach dem Ende der Apartheid. Zunächst aus Geldmangel, später, weil wir es einfach so gewohnt waren, reisten wir auf eigene Faust, nur mit grober Reiseplanung und mit Übernachtung in einfachen Unterkünften oder am Strand. Eine Reise nach Ägypten mit Nilkreuzfahrt zu Beginn der 90er Jahre – der Inbegriff einer Fernreise damals –verkörperte danach den Schrecken einer Pauschal- und Gruppenreise für mich, wie ich ihn nicht noch einmal erleben wollte.
Mitte der 90er brachte die Geburt unserer Tochter eine mehrjährige Begrenzung unserer weiteren Welteroberung und wir beschränkten uns auf Griechenland und die Kanaren, bevor es ab 2000 galt, den Rest der Welt zu erkunden.
Bezugnehmend auf Michael Palins Worte kann ich nur ergänzen „Wenn dich das Reisefieber einmal packt, wird es von Reise zu Reise schlimmer …“ oder noch besser mit den Worten von Klaus Fritz, Übersetzer u.a. der Harry-Potter-Reihe „Reisen ist eine Droge – man wird aber nicht süchtig auf das Reisen, sondern auf den Zustand, in den sie einen versetzt und die Gefühle, die man dabei erlebt.“